Ein gemeinsamer Beitrag von netzworks und philolobby
Unsere Welt digitalisiert sich von Tag zu Tag mehr. Alle Bereiche des Lebens werden von neuen Techniken durchdrungen und wir als Menschen verschmelzen immer weiter mit dem Netz und den Maschinen. Mit jeder Eingabe auf unserer Tastatur, mit jeder Suchanfrage bei Google, bei jedem Like auf Facebook, beim Bezahlen mit der Kreditkarte oder Angeboten wie PayPal produzieren wir Daten. Aber wohin fließen all diese Daten eigentlich? Auf die Server der Firmen, auf Server in Übersee? Meistens wissen wir es nicht oder wollen es vielleicht nicht wissen. Denn, was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Doch wir sollten es wissen, wenn ein Unternehmen mehr über uns weiß, als unser bester Freund oder vielleicht sogar als wir selbst. Klar, die bestgeschützten Daten sind die, die erst gar nicht entstehen. Dennoch kann das Erheben auch manchmal sinnvoll bzw. nötig für einen gewissen Dienst oder ein gewisses Verfahren sein. Diese Daten sollten jedoch dann geschützt und anonymisiert werden und das nicht nur vor Dritten, sondern auch vor den Unternehmen, die sie erheben. Denn – Wissen ist Macht.
Der Big Brother Award (BBA) ist ein Negativpreis, welcher an Unternehmen, Organisationen oder auch an einzelne Personen in fünf verschiedenen Kategorien verliehen wird, die es mit Dingen wie Privatsphäre oder Datenschutz nicht ganz so ernst nehmen.
Ziel der Verleihung ist es auf Datenschutzproblematiken und Negativtrends in der Gesellschaft und Wirtschaft aufmerksam zu machen. In Deutschland ist der Verein Digitalcourage e.V. Ausrichter dieser Veranstaltung, welche jährlich in Bielefeld stattfindet.
Bei der diesjährigen Verleihung waren wir von netz/works und philolobby mit dabei und wollen euch einen kleinen Einblick geben, wie das Event abgelaufen ist, wer die Preisträger sind und vor allem warum sie Preisträger geworden sind.
Einstieg der Veranstaltung war eine Gastlaudatio der ehemaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie hat in ihrer anspruchsvollen Rede vor allem auf die Gefährdung unserer Demokratie hingewiesen. Besonders in der heutigen Zeit sei es unabdingbar die Grundrechte der Freiheit zu verteidigen. Wenn wir diese fundamentalen Werte unserer Gesellschaft vernachlässigen, so Leutheusser-Schnarrenberger, ebnen wir den Terroristen den Weg. Denn der Terrorismus hat nur ein Ziel: die Vernichtung unserer Freiheit. Es sei also unsere Aufgabe, der Regierung zu verdeutlichen: dieses Thema betrifft uns alle! Die ehemalige Ministerin forderte alle im Saal auf, sich für das Thema einzusetzen. Es lohne sich absolut.
Kategorie Lebenswerk: Bundesamt für Verfassungsschutz
Der Negativpreis der Kategorie ging an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Einrichtung habe eigentlich die Aufgabe, unsere Verfassung zu schützen (wie der Name sagt). Doch, das Bundesamt handele immer wieder verfassungswidrig und vollkommen eigenwillig.
Der Laudator, Rolf Gössner, wird selbst vom Verfassungsschutz überwacht. Er weist in seinen Büchern daraufhin, dass seit Jahren eine scheinbar zwielichtige Verbindung des Verfassungsschutzes mit V-Leuten der Neonazi-Szene besteht (z.B. das Scheitern eines NPD-Verbots, da zu viel V-Leute in der Führungsebene der Partei tätig waren). Zudem werden laut Gössner illegale Praktiken vertuscht. Demnach müsse der Verfassungsschutz vor allem sich selbst überwachen.
Kategorie Wirtschaft: Change.org
„Wir doch nicht!“ – Change.org Vertreter beteuern ihre Unschuld
Change.org ist eine Petitionsplattform. Diese vermarkte jedoch personenbezogene Nutzerdaten von Unterzeichnern. Darunter auch deren politische Einstellung, was absolut verfassungswidrig ist. Change.org lebt nach eigenen Angaben von den Investitionen seiner Kapitalgeber und sei somit eine soziale Organisation und nicht gewinnorientiert. Dennoch wurde unter anderem in Zusammenhang mit den BBA herausgefunden, das Nutzerdaten weiterverkauft werden. Trotz der schon längeren Ungültigkeit des Safe Harbor Abkommens, gestaltete das Unternehmen seine Datenschutzbestimmungen nicht neu und speicherte weiterhin Nutzerdaten auf US-Servern.
Im Verlauf des Abends kam es zu einem besonderen Ereignis: Vertreter von Change.org waren anwesend, um den Preis entgegenzunehmen. Als diese eine Stellungnahme aussprechen wollten, schien die Situation zu eskalieren. Das Mikrofon wurde abgeschaltet. Der Moderator verhielt sich sehr unprofessionell und versuchte den Vertreter zu übertönen. Dann die ersten Buh-Rufe aus dem Publikum. Die Situation war sichtlich aufgeheizt worden. Schlussendlich hatte der Mitarbeiter trotzdem die Möglichkeit Stellung zu beziehen. Man kann es sich vorstellen: seine Rede wurde ständig von Rufen aus den Zuschauerreihen unterbrochen.
Dennoch blieben die beiden Change.org-Vertreter bis zum Ende da, um sich den Fragen des Publikums zu widmen. Hier geht´s zur Stellungnahme des Vertreters:
http://blog.change.org/de/feed/datenschutz-entspricht-unserem-selbstverstndnis
Kategorie Technik: Berliner Verkehrsbetriebe BVG
Elektronische Daten im Verkehr sind in der heutige Zeit keine Seltenheit mehr. Dass aber neben dem Namen sämtliche andere Daten wie Uhrzeit, Fahrstrecke und Aufenthalt gespeichert werden, ist neu. Doch es kommt noch besser: Die Technik der BVG war mehr als fehlerhaft und so konnten die Daten von jedem der ein NFC-fähiges Smartphone besitzt mitgelesen werden.
Und wer lässt sich schon gerne von der Freundin oder dem Freund fragen: „Schatz, warum bist du eigentlich gerade an einer anderen Haltestelle ausgestiegen?“
Kategorie Verbraucherschutz: Generali Versicherung
Die Generali-Versicherung verspricht besondere Boni, wenn man dort einige Daten hinterlegt. In kooperierenden Geschäften erhält man im Gegenzug einige Produkte günstiger. Wo ist also der Haken? Viele Versichrungen versuchen mit Daten über Blutdruck, Bewegung und Fitness ihre Beiträge dem entsprechenden Kunden anzupassen. Das heißt im Folgeschluss: Wer selten krank ist, zahlt weniger. Hurra! Ein hoch auf die gesunden Menschen unter uns. Wer also zu husten anfängt oder einen Unfall hat, kann sich schon mal auf eine satte Nachzahlung freuen.
Das Prinzip nennt sich „Gamification“. Der Nutzer versucht mit Hilfe von Fitness-Apps und Nahrungs-Trackern Punkte zu sammeln. Dabei hat er das Gefühl, dass er etwas erreiche. Und bekommt dafür Punkte. Irgendwann wird die Gesundheit zum Spiel und der Datenschutz ein peinlicher Witz. Für unsere Gesellschaft heißt das jedoch vor allem eins: Entsolidariserung.
Kategorie Arbeitswelt: IBM für die Software „Social Dashboard“
Die Firma IBM hat ein soziales Netzwerk kreiert.“Social Dashboard“ ermittelt über persönliche Daten, wie die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern abläuft. Vernetzungen zwischen einzelnen Mitarbeitern werden in einer Punktzahl angezeigt. Ziel ist es besser zu sein als die anderen Mitarbeiter. Das soziale Ranking hat jedoch eine fatale Folge: die Mitarbeiter geraten unter massiven Druck. Ständig müssen sie ihre Beziehungen „künstlich“ ankurbeln. Aber was hat das noch mit echter Kommunikation zu tun?
Positiv Preis: Jan Phillip Albrecht (Grüne)
Seit 2009 sitzt Jan Philip Albrecht für die Grünen im Europäischen Parlament. Dort setzte er sich für nutzerfreundliche Datenschutzreformen in der EU ein. Tatsächlich wurde ein Teil der Reformen umgesetzt. Aber auch Kompromisse mussten eingegangen werden.
Datenschutz ist und bleibt ein wichtiges Thema mit zahlreichen Auseinandersetzungen. Leider ist das Thema aber noch nicht im öffentlichen Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. Einige Initiativen kämpfen bereits jetzt gegen die Entwicklungen in der rechtlichen Grauzone an. Es werden Skandale und Intrigen aufgedeckt, die für das menschliche Auge nur selten erkennbar sind.
Wir müssen begreifen, dass ein globales Zeitalter der Digitalisierung nicht nur Freiheitszuwachs, sondern meist auch Freiheitsberaubung bedeutet. Die Würde des Menschen steht an erster Stelle im Grundgesetz. Und dennoch wird sie oft nicht beachtet und einfach ignoriert. Die Big Brother Awards zeigen vor allem: Wir müssen hinsehen. Und etwas tun!
Hier geht es zur Philolobby: https://philolobby.wordpress.com/